„Gefängnis ist meine Berufung“ Gerd Büntzly Der zweite Tag von Claras Haft beginnt mit Nebel und einige von uns haben in ihren Zelten doch etwas gefroren. Pünktlich zum Frühstück ist der Himmel aber wieder wolkenlos und die Sonne scheint auf angeregte Gespräche über verschiedene Formen von Gedenken und Protest gegen Krieg. Nach einem ausgedehnten Frühstück ziehen einige von uns Richtung Hildesheimer Friedenstag, während andere Kraniche falten und wieder andere diskutieren über Atomwaffen, deutsche Nato-Teilhabe und den Sinn und Unsinn von Drohungs- und Abschreckungslogiken.
Aus Anlass der 75 jährigen Zerstörung der Stadt Hildesheim wird von der Stadt eine Gedenkveranstaltung in St. Andreas abgehalten. Auch wir gehen hin und wollen darauf aufmerksam machen, dass Erinnern und Gedenken wichtig ist, aber gleichzeitig ein gemeinsames Nachdenken über Alternativen zu militärischen Auseinandersetzungen und der sofortige Abzug der Atomwaffen notwendig ist. “ Nie wieder Krieg“ kann nur durch beherztes Handeln erreicht werden. Wir können nicht lange Flugblätter verteilen, da erteilt uns der zuständige Pfarrer Hausverbot. Wir melden eine Eilversammlung nach dem niedersächsischen Versammlungsrecht an. Die Polizei erscheint, wir argumentieren mit dem Fraport Urteil (Hausherren/frauen von öffentlich genutzten Bereichen, wie Flughäfen, müssen es dulden, wenn begrenzte Versammlung in ihrem Bereich durchgeführt werden), aber das kennt die Polizei nicht. Also ziehen wir uns von dem kirchlichen Grundstück zurück (obwohl heute hier der Friedenstag begangen wird), hängen unser Transparent außerhalb auf und gehen wieder, wie vorher auf die Menschen zu, die an der Gedenkveranstaltung teilnehmen wollen. Es kommt zu guten Gespräche über Zerstörung und die Existenz von Atombomben.
Über den Tag verteilt haben wir viele schöne Begegnungen mit Passant*innen und Besucher*innen, von denen zwei sogar aus Freiburg angereist sind. „Gefängnis ist meine Berufung“ erklärte Gerd Büntzly zu seinen Haftaufenthalten. 10 Menschen lauschten ihm bei schönsten Sonnenschein in unserem 2. Erzählcafe.
Der Nachmittag klingt wie gestern mit einem Rundgang um das Gefängnis aus. Wir können Clara nicht sehen. Langsam werden wir unsicher, weil wir uns so abgeschnitten fühlen. Wie es ihr wohl gehen mag? Müssen wir uns Sorgen machen oder hat sie es sich ganz zufrieden eingerichtet, so wie sonst in einer Blockade? Hoffentlich kommt morgen Post von ihr.
Die Vokü aus Hildesheim kommt mit heißer Suppe und leckerem Knoblauchbrot. Es wird immer ruhiger.
Und dann kommt noch eine großartige Soli-Aktion. Aus dem Bundestag. Dort haben sich Teilnehmer*innen des Fachgesprächs zur Atommüll-Standortsuche mit Claras Papa Jochen Stay mit Schildern aufgestellt, auf denen zu lesen ist: „Atomwaffen verbieten- Freiheit für Clara!“ Es ist absolut verboten, so etwas im Bundestag zu tun und doch ist die Aktion schneller als der Sicherheitsdienst. Endlich mal eine gute Nachricht aus dem Bundestag.
Liebe Friedliche,
ich habe soeben folgende mail an die St-Andreas-Gemeinde in Hildesheim geschickt und dann an die Hildesheimer Allgemeine Zeitung mit Bitte um Veröffentlichung:
Sehr geehrte Damen und Herren der Gemeinde St. Andreas,
sehr geehrter Herr Pfarrer Albrecht,
heute erfuhr ich von einem Teilnehmenden an der Mahnwache für Clara Tempel, daß die Gruppe anläßlich des Bombenabwurfs über Hildesheim heute vor 74 Jahren am Friedensfest teilnehmen wollte und von Ihnen, Herr Pfarrer, des Geländes verwiesen wurde. Nicht, daß Sie auch die Polizei riefen, um Ihr Hausrecht durchzusetzen, Ihre Begründung erschüttert mich (vorausgesetzt, sie wurde korrekt weitergegeben):
Atomwaffen seien friedensfördernd und deshalb habe Protest gegen Atomwaffen nichts auf dem Kirchengelände und beim Friedensfest zu suchen.
Ich bin fassungslos und sprachlos. Waffen sollen friedensfördernd sein? Und die schlimmsten Waffen, die Menschen überhaupt entwickelt haben, die die Erde in wenigen Sekunden zerstören können, die sollen auch friedensfördernd sein? Ich kann mir nicht vorstellen, daß ein denkender Mensch eine solche Ansicht ernsthaft vertreten kann. Dazu am Jahrestag der größten Zerstörung, die Hildesheim überhaupt erlebt hat, eine Zerstörung nicht durch eine Naturkatastrophe, sondern durch Waffen.
Und ich kann mir nicht vorstellen, daß ein an den christlichen Gott glaubender Mensch so denken kann. Vor kurzem wurde ich (die Situation tut hier nichts zur Sache) an das Bibelwort „Wer das Schwert ergreift/nimmt, wird/soll durch das Schwert umkommen“ erinnert. Ich antwortete mit dem historischen Beispiel der Atombombe und fragte, warum dann diejenigen, die Atombomben ergriffen, nicht durch sie umkamen. Fühlen Sie sich sicher durch Atomwaffen?
Ich habe Angst vor Kriegen, vor einem neuen Weltkrieg. Und ich bin unbeschreiblich entsetzt und enttäuscht, daß Sie als Kirchengemeindeverantwortlicher und Kirchenvertreter die unheilvolle Tradition fortsetzen, Waffen gutzuheißen (unsere Geschichtsbücher sind voll von den Konsequenzen) und die Gegner von Waffen zu verteufeln und des Geländes zu verweisen. Jesus hat Geldwechsler aus den Bethäusern getrieben, was hätte er mit Waffenbefürwortern gemacht?
Oder Ihr o.g. Argument logisch weitergedacht: Der Teufel ist glaubensfördernd und deshalb darf Kritik am Teufel nicht in der Kirche stattfinden.
Ich bitte Sie dringend, Ihre heutige Handlung und Entscheidung zu überdenken und sich nicht nur in Worten, sondern auch in Taten für den Frieden einzusetzen. Denn an ihren Taten/Früchten sollt Ihr sie/(Euch?) erkennen.
Mit friedlichen Grüßen
Eva Mahler