Aufrüstung für den Frieden ist wie Schnapspralinen gegen Alkoholismus
– Die JunepA-Aktionen am Fliegerhorst Büchel
Knapp dreißig Menschen fanden sich rund um den 12. September 2016 zweihundert Meter vom Haupttor des Fliegerhorstes Büchel entfernt in einem Camp zusammen. Ihr Ziel: Widerstand gegen die wahrscheinlich dort gelagerten 20 US-Atomsprengköpfe leisten! Diese sollen womöglich für viele Millionen Euro erneuert werden. Am Wochenende waren wir fleißig, diskutierten eifrig unsere Pläne und präparierten jede Menge Material, bis unsere Blockade- und Go-In-Aktionen am Montag um fünf Uhr fünfzehn in der Dunkelheit begannen. Die fünf Bezugsgruppen verstreuten sich zu ihren angestrebten Zielen: zum Haupttor und zum Lutzerather Tor, zu Tor 1 und Tor 3 und schnurstracks zur Start- und Landebahn des Fliegerhorstes. Im Folgenden berichtet einer der Teilnehmer der Sitzblockaden von seinen Erlebnissen.
Ich bewege mich mit sechs anderen Menschen und zwei Tripods zu Fuß zum Haupttor. Der Kreisel ist fast komplett mit Polizist_innen und Polizeiwagen umstellt, dementsprechend schwer haben wir es, unseren Plan durchzuführen, auch wenn wir erst ungehindert passieren dürfen. Wir setzen uns schließlich angesichts uns zurückdrängender Polizist_innen vor die Einfahrt, breiten unsere Banner aus und machen es uns so angenehm wie möglich. Es ärgert uns, dass wir davon abgehalten wurden, die Tripods aufzustellen und versuchen es ein zweites Mal. Der Versuch scheitert, zu viele Polizist_innen greifen ein und sind kurz davor, eine Aktivistin, die in den Schnüren des Tripods hängt, zu verletzen. Nach unserem Schreien und Rufen lassen sie los.
Da der Schichtwechsel, den wir blockieren möchten, durch die Polizei an der Ausfahrt in vollem Umfang stattfinden kann, entschließen sich zwei Aktivistinnen und ich uns dazu, aufzustehen. Uns ist kalt, sagen wir, wir wollen zum Camp und uns wärmere Sachen holen. Doch als wir einen Schlenker Richtung Kreiselfahrbahn und Ausfahrt machen, stürmt ein Trupp Polizist_innen auf uns zu und lenkt uns etwas unwirsch zum Camp. Wir ruhen uns aus, besprechen uns und starten zeitig einen weiteren Versuch: Wir laufen eine große Runde an der Bundesstraße entlang über einen Radweg und kommen von der anderen Seite an den Kreisel; sogar ziemlich nahe an die Ausfahrt. Mangels Gebüsch und wegen zunehmender Helligkeit fällt leider auch dieser Versuch ins Wasser. Nachdem zwei von uns kurzzeitig auf dem Kreisel saßen, sitzen wir nun zu dritt inmitten der Polizei auf dem Gehsteig; neben Pappkartons voller Brotrationen und Halbliter-Einwegflaschen mit Wasser. Es fühlt sich mäßig sinnvoll an.
Einige Minuten später kehren wir mit Begleitschutz zum Camp zurück, zu unserer Bezugsgruppe vor dem Haupttor dürfen wir nicht mehr. Um nicht tatenlos rumzusitzen, beschließen wir, gemeinsam mit den zwei neu angekommenen Unterstützer_innen unsere Freunde und Freundinnen an den Toren mit warmem Kaffee, Tee und Keksen zu versorgen. Deprimierte Augen schauen uns entgegen, hier und da strahlt ein Gesicht auf – „Teeee!!!“ –; und anderswo beste Laune, Albereien mit Polizeibeamt_innen und Soldat_innen, freudiger Widerstandsgeist vor kaltem bis tödlichem Hintergrund. Die Bedingungen an den Toren sind äußerst unterschiedlich. Entweder will sowieso niemand rein- oder rausfahren, die Zeit ist dann langweilig oder lustig und unterhaltsam dank interessanter Bundeswehr- und Polizeimanöver, oder die Lage scheint frustrierend, wenn das Tor nur halb blockiert werden kann und ständig uniformierte Angestellte mit ihren Autos und Motorrädern in und aus dem Fliegerhorst rauschen. Wir schwanken zwischen Triumphgefühl und Enttäuschung. Wir können nicht alles dichtmachen, sind nicht so effektiv wie erhofft. Andererseits haben wir es mit erstaunlich wenig Menschen geschafft, einen riesigen Apparat von Systemaufrechterhaltungsgebärden aufzumischen und massig für Aufwand zu sorgen! Nicht zuletzt gelangt das Thema in die Presseöffentlichkeit: Es müssen alle wissen, was in Büchel abgeht, und vor allem, dass das nicht geht!
Beim Lutzerather Tor herrscht eine angespannte Stimmung. Die Blockadegruppe ist geschafft, hat einige Strapazen hinter sich. Wir aus der Haupttor-Gruppe besprechen uns; zwei bleiben dort und unterstützen die Menschen. Ich fahre weiter mit dem Kaffee und dem Tee und schließe mich dann der Blockadegruppe vor Tor 1 an.
„Fickt euch!“, brüllt ein Bundeswehrsoldat uns aus seinem Patrouillenwagen zu und versucht wohl einen konstruktiven Kommentar zu unserer Aktion abzugeben. Ob er damit zum Ausdruck bringen möchte, dass ihm nichts einfällt, was gegen unsere Aktion spricht? Wenige Minuten später erscheinen hinter Tor 1 jede Menge schwer bewaffnete Soldat_innen, ein paar hüpfen aus Bussen und Transportern raus, andere sitzen in zwei Metern Höhe auf einem bundeswehrgrünen Panzerfahrzeug und richten ihre Maschinengewehre auf uns. Wir unterhalten uns entspannt vor dem Tor, stehen zwanzig Meter weiter bei den Bannern, schauen zu und drehen einen kurzen Bericht. Erst erscheint das Gebärden und Treiben hinter dem Zaun bedrohlich, dann schimmert die Lächerlichkeit bis Lustigkeit immer mehr durch. Ein paar unbewaffnete Zivilisten, die Zaun und Tor berühren, und schon rollt die ganze Kriegsmaschinerie da an! Ob hocherfreut über Beschäftigung – oder von Angst ergriffen und sich einem scharfen Angriff ausgesetzt fühlend, ist Interpretationssache. Als wir uns vom Tor wieder in Richtung unserer Banner bewegen, kommen zwei volle Polizeibusse von der Straße und passen auf das Tor auf. Gemeinsam mit den anderen Blockadegruppen beenden wir um 10.30 Uhr selbstbestimmt die Aktion.
Danach kommen nach und nach alle wieder im Camp zusammen, die Teilnehmer_innen der vier Sitzblockaden und glücklicherweise auch alle Menschen, die nach den fünfzig Minuten auf der Start- und Landebahn einige Stunden im Militärgewahrsam auf dem Gelände des Fliegerhorstes festgehalten wurden. Die Stimmungslage und Erschöpfung sind unterschiedlich; wir ruhen uns aus, essen und trinken, erzählen und bereiten am Nachmittag unsere Abschlussaktion vor:
Es tummeln sich an die hundert bunte Helium-Luftballons an der Zeltdecke; sie warten ungeduldig aneinander quietschend darauf, endlich in Zehnerbündeln an Schnüre gebunden zu werden. In ihnen drängt das gleiche Verlangen nach Freiheit wie in vielen Menschen auf dem JunepA-Camp, einfach aufzusteigen in den Himmel und vom Wind hier und dorthin zu wirbeln, zu tanzen, zu jubeln, bunt zu sein und sich irgendwann wieder zu einem Plenum zusammenzufinden. Und das möglichst ohne US-Atomwaffen, die abgeschirmt von der Öffentlichkeit in der Eifel von Bundeswehrsoldat_innen beherbergt und im Ernstfall zu ihrem Bestimmungsort geflogen werden!
Es bleibt nicht aus, dass ab und an ein Luftballon platzt, sei es durch einen Piks oder die Hitze, einen Schubser oder zu viel Enge. Und ab und an japst bis furzt ein Exemplar wütend oder orientierungslos und ermüdet durchs Zelt und fällt schlapp zu Boden – raus ist die Luft. Dann kann es seine Weile dauern, bis die Wunde verheilt und das Gemüt wieder auflebt. Große Sensibilität ist geboten, niemand wird alleine gelassen, es sei denn er oder sie möchte es. Matratzenlager und schattige Plätze unter den raschelnden Blättern einer Pappel sind Bedürfnisse der Menschen auf dem Camp, wie Geselligkeit und ausgiebige Diskussion und Beschäftigung mit dem Geschehenen auch.
Die Luftballons werden unser extra-leichtes Gardinenbanner tragen, so die Hoffnung – die sich bestätigt. Die obere Bannerkante ist durch einen Holzstab verstärkt und an allen vier Ecken sind lange Schnüre angebracht. Als wir nach und nach die Luftballon-Bündel am Holzstab befestigen, wird immer klarer: Unser Plan funktioniert! Wie einen Vogel an einer Leine oder einen über den Köpfen schwebenden riesigen Drachen manövrieren wir das Banner am späten Nachmittag zwischen Hecken und unter Bäumen hindurch zum Haupttor. Fast alle sind auf dem Hügelchen in der Kreiselmitte versammelt und stellen sich auf. Ein letztes Mal zeigen wir unsere Botschaft: Lasst Ballons statt Bomben fliegen!