Heute haben wir einen neuen Brief von Clara erhalten:
Di, 26.3.19
Hallo ihr lieben Menschen da draußen,
dies wird wahrscheinlich mein letzter Brief aus der JVA sein. Übermorgen bin ich dann wieder in Freiheit.
Bevor das alles vorbei ist, möchte ich noch ein bisschen näher beschreiben, wie es hier ist.
Meine Zelle ist 7 m² groß. Sie hat hohe Decken und ein vergittertes Fenster, das aber so weit oben ist, dass ich kaum rausschauen kann. In meiner Zelle habe ich viele der Dinge, die in einer Woche Gefangenschaft sehr nützlich sind: Einen Wasserkocher, Fernseher, Schreibpapier, Buntstifte, Briefmarken, ein Liederheft (das Gleiche, das ich auch bei der Mahnwache habt), ein Notizbuch, meine eigenen Klamotten, eigene Bettwäsche, Süßigkeiten und durch einen Antrag habe ich sogar drei meiner eigenen Bücher bekommen. Nur meine Gitarre und meine Stricksachen, die unten in der Kammer liegen, fehlen mir sehr. Insgesamt kann man aber sagen, dass ich – rein materiell gesehen – hier drinnen ein gutes Leben führe.
Trotzdem gibt es da den Lärm, die Enge, die ständige Möglichkeit, dass jemand ungefragt reinkommt, die Machtlosigkeit, die Isolation. Das alles führt dazu, dass ich sehr oft angespannt bin und mich auf jeden Fall darauf freue, am Donnerstag wieder draußen zu sein.
Aber trotzdem kann ich die Zeit hier für mich nutzen. Ich schreibe & lese Briefe, singe, lese Bücher, trinke Tee und schmücke meine Zelle. Ich kann all den Mist, der hier drinnen passiert, gut aushalten. Auch weil ich weiß, dass ich draußen so viele Unterstützer_innen habe. Und weil ich weiß, wofür ich das hier mache. Ich versuche einfach, mir vorzustellen, dass ich in einer Aktion bin, so wie 2016 am Atomwaffenlager. Natürlich gab es da auch herausfordernde oder mulmige Momente, aber wir haben es gemeinsam geschafft, unsere Angst zu überwinden und haben unser Ziel verfolgt. Als vor uns Soldat_innen mit Gewehren standen, haben wir begonnen zu singen. Ich glaube, es gibt fast immer einen Ausweg aus unserer Angst oder einen Weg, mit ihr umzugehen. Ungehorsam sein, das bedeutet für mich nicht, keine Angst zu haben, sondern die eigene Angst Huckepack zu nehmen und sie an einen Ort zu tragen, an dem sie sich in Mut verwandeln kann.
Das versuche ich auch hier im Gefängnis, jeden Tag. Wenn wieder etwas passiert ist, worüber ich mich ärgere oder was mir Angst macht, dann schreibe ich das auf meine „Absurditätenliste“, das macht es einfacher, damit umzugehen. Wenn ich mich innerlich von etwas distanzieren möchte, dann schaue ich mit einem wissenschaftlichen, forschenden Blick darauf. Wenn ich von all der fremdbestimmten Struktur überwältigt werden, dann gebe ich mir eigene Strukturen, feste Abläufe, die ich dann selbstbestimmt einhalten oder ignorieren kann. Diese Strategien machen spürbar, dass in mir drin noch eine eigenmöchtige Person ist, die selbstständig Entscheidungen treffen kann und das ist ein gutes, befreiendes Gefühl.
Heute will ich Grüße nach Büchel schicken, wo in diesen Tagen die 20-wöchige Aktionspräsenz beginnt. Das ist eine Einladung an alle, die einmal ausprobieren möchten, wie sich Protest direkt am Unrechtsort anfühlt oder die den Schritt zum Zivilen Ungehorsam gehen wollen. Oder an diejenigen, die sich – so wie ich – versprochen haben, in jedem Jahr mindestens eine Aktion in Büchel zu machen.
Egal, ob in Büchel oder anderswo: Ziviler Ungehorsam und andere Formen des Widerstands sind notwendig, um zur nuklearen Abrüstung beizutragen.
Lasst uns auch all die Menschen im Blick haben, die nicht groß in der Presse sind, deren Namen wir nicht kennen, die im Stillen gegen Unrecht kämpfen. Uns alle braucht es für eine echte Veränderung.
Ich bin gespannt auf alles was kommt.
Liebe Grüße
Clara